Heutzutage braucht es viel, um eine gute Führungskraft zu sein. Mit der Digitalisierung und den damit einhergehenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft sind Führungskräfte stärker mit der Frage konfrontiert, wie sie denn nun führen sollen. Sie fragen sich nicht umsonst, was «gute Führung» bedeutet. Denn viele bekannte Rollenbilder gelten als veraltet, neue sind an deren Stelle getreten. Und wenn man auf die Unmengen von aktuell diskutierten Führungsansätze blickt, stellt man fest: Man muss heute ganz viel können, um eine gute Führungskraft zu sein.
Modelle helfen zu verstehen
Robert E. Quinn, einer der weltweit meistzitierten Autoren in der Organisationsforschung, spricht von acht notwendigen Rollen, die eine Führungskraft heute einnehmen können muss. Je nach Situation soll eine Führungskraft Innovator, Vermittler, Produzent, Regisseur, Koordinator, Kontrolleur, Facilitator oder Mentor sein. Und jede dieser Rollen beinhaltet ein Set an Verhaltensweisen.* Diese Vielfalt an Rollen gilt es situativ richtig einzusetzen: Wo ein Mentor gefragt ist, hilft beispielsweise ein Kontrolleur wenig. Führungssituationen im Alltag werden also bewusst eingeschätzt und das entsprechende Register des Verhaltens wird gezogen. Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang von einer Technik auf Basis eines Modells. Dieses Modell der acht Rollen hilft uns also nicht nur, Führungssituationen zu verstehen, sondern kann auch Leitplanke für unser Handeln sein.
Für Nachhaltigkeit sind Prinzipien gefragt
Viele Autoren antworten auf die grösser werdenden Herausforderungen in der Führungsarbeit mit einer grösser werdenden Anzahl an trainierten Verhaltensweisen. Führungsmodelle wie von Quinn können wertvolle Impulsgeber sein, um besser und aus anderer Perspektive nachzudenken. Sie helfen aber selten durch den Alltag. Hilfreicher sind Grundprinzipien, die uns nachhaltig und über Zeit und Untiefen hinweg auch dann Orientierung geben, wenn auf einmal alles anders ist und nichts mehr zu funktionieren scheint wie zuvor.
Unsere Haltung prägt Verhalten effektiver
Eine Alternative zu Modellen und Theorien ist also die Arbeit an der eigenen Führungshaltung und der Fähigkeit, diese immerzu zu überdenken. Mit Haltung ist die Einstellung gemeint, mit der ich die Rolle einer Führungskraft ausfülle und verbinde: Wozu braucht es mich? Was bestimmt mein Tun? Wofür bin ich zuständig, und wofür nicht? Wie weit reicht mein Helfen, wo hat es seine Grenze? Wie wichtig ist meine Gesundheit? Und vor allem: Wo bin ich eingebettet? wer ist mit mir? Auf wen kann und muss ich zählen? Und wieso bin ich nur im Team leistungsfähig genug?
Wir dürfen und müssen selbst entscheiden
Diese Grundhaltung ist nicht universell, sondern individuell. Wir sind also gezwungen, uns selbst ein Bild zu malen, was uns persönlich wichtig ist, woran wir uns halten, worauf wir bauen, welche Werte uns prägen. Einmal gefunden trägt uns diese Haltung länger durch die Führungsjahre, als es viele Leadership-Rezepte ausloben.
«Die innere Haltung wirkt auch dann, wenn wir nicht bewusst handeln. Also meistens.»
Aus unserer Sicht ist die wichtigste Fähigkeit einer Führungskraft daher, sowohl selbst als auch im Team darüber reflektieren zu können, was sie tut und wie sie dabei auf andere wirkt. Eine Führungskraft muss sich aktiv damit auseinandersetzen können, was sie gerne anders tun will – insbesondere auf Basis von Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen – und schliesslich, wer sie ist. Gute Führung bedeutet in diesem Sinne auch, selbst entscheiden zu dürfen, mit welcher Einstellung wir an unsere Arbeit gehen. Aber auch immer wieder von Neuem entscheiden zu müssen.
*Quinn, Robert E. et al: Becoming a Master Manager, 7. Aufl, John Wiley & Sons Inc, 2021.
Foto: Livio Federspiel